Weinbergsprühen mit dem Helikopter (zur Ausgangsseite mit Zurücktaste Ihres Browsers) |
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Sprühflieger sind Frühaufsteher Es ist noch dunkel, als ich mich auf den Weg an die obere Mosel mache. Heute will Volker Grasberger mit seiner betagten Hiller UH-12-E an einem Steilhang in der Nähe von Klüsserath Weinberge mit Fungiziden besprühen. Das Wetter ist durchwachsen, hier und da begleitet mich ein heftiger Regenschauer. Zur gleichen Zeit, als ich das Autobahnkreuz Koblenz passiere, steigt der Berufspilot aus Oedheim in seine Maschine. Mit dem ersten Büchsenlicht ist er in der klaren Luft: „Da ist es besonders gut zu fliegen. Die Temperatur stimmt noch, und Thermik, die das Sprühgut verweht, hat noch nicht eingesetzt." Nach einer Stunde jedoch zieht es zu. Erste Regentropfen stoppen jäh alle fliegerischen Aktivitäten im Weinberg. Regen verwäscht die Fungizidmischung, treibt sie weg von den jungen Blättern, die vor Pilzbefall geschützt werden sollen. Die Zwangspause wird zum ausgedehnten Frühstück genutzt. Seit Jahren schon verbringt der Pilot jeden Sommer an der Mosel. Auf einem Campingplatz bei Pölich gehören er und sein Wohnwagen zu den Dauergästen. Dann und wann begleitet ihn auch Ehefrau Luise, die die Zeit zum Kurzurlaub nutzt. Denn für Volker Grasberger sind die Sommermonate zum Ferien machen tabu. „Das ist die Kernzeit zum Weinbergsprühen. Nach Pfingsten werden die ersten Einsätze geflogen und dann prophylaktisch noch drei- bis viermal, im 14-tägigen Rhythmus; so lange wie die jungen Blätter eben treiben." Mit den Winzern der Genossenschaft ist Grasberger inzwischen längst per du. Die Zusammenarbeit besteht jetzt seit fast 30 Jahren, die Verträge werden immer wieder erneuert. Winzer Reinhold Kollmann bringt es auf den Punkt: „Bei Volker wissen wir, wo wir dran sind. Er fliegt besonders effektiv und kennt inzwischen jeden Rebstock. Außerdem ist er fair im Preis. Zwischendurch haben wir es mal mit anderen Sprühfliegern versucht. Aber wir sind konservativ. Volker ist und bleibt unsere Nummer eins." Ein tolles Kompliment angesichts des harten Jobs für den Piloten, der ständig mit voller Aufmerksamkeit fliegen muss und vor Zwischenfällen auch dann nicht gefeit ist, wenn er wie Grasberger mehr als 11 000 Flugstunden in seinem Logbuch stehen hat. „Besonders gefährlich ist es, wenn das ganze zur Routine wird, wenn man stundenlang immer den gleichen Turn fliegt. Morgens ist es ja meist noch kühl, aber am Mittag kann sich die Temperatur im Cockpit bis auf 45 °C aufheizen, das geht auf die Konzentration. Oft kann man gegenüber dem dunklen Berg auch Leitungen nicht erkennen. Das ist die größte Gefahr für Sprühflieger. Ich gehe die Gegend vorher meist zu Fuß ab, und präge mir so die Positionen von Leitungsmasten genau ein." Der ideale Helikopter zum Sprühen
Luise Grasberger stellt Kaffeetassen auf den Tisch. Wir sitzen im gemütlichen Wohnwagen, während es draußen monoton gegen die Scheiben plätschert. Gegen 11 Uhr klart es wieder auf. Jetzt schnell ins Auto und rauf zur Parkposition des Helikopters. „20 Minuten nach dem letzten Regen dürfen wir wieder loslegen. Dann ist alles trocken." Auf einem Feldweg zwischen den Rebstöcken, etwa 200 m oberhalb des Ortes, parkt die Hiller. Sie ist mit 23 Jahren schon recht betagt, aber als Oldie Grasbergers Sprühfavorit: „Dafür ist sie geradezu ideal, wegen ihrer Wendigkeit, der starken Soloy-Turbine, der guten Sichtverhältnisse im Cockpit und natürlich auch wegen ihres günstigen Flugstundenpreises." An ihren 13m langen, seitlichen Auslegern befinden sich kleine Düsen, die vom Cockpit aus über einen Knopf am Stick vom Piloten elektrisch ausgelöst werden können. Sie verteilen das Fungizid dosiert über den Rebstöcken. Auf einem Anhänger steht ein Tank. In ihn schütten Reinhold und ein Winzerkollege das weiße, pulverförmige Pilzbekämpfungsmittel, das in einer bestimmten Mischung mit Wasser verdünnt wird. Über einen Schlauch wird der Sprühtank der Hiller befüllt. Jeder Turn dauert gerade mal sieben Minuten, dann muss die Hiller Fungizid nachtanken. Das ganze wiederholt sich dutzende Male, Stunde um Stunde. „Wie um alles in der Welt erkennt man, welche Bahnen man abfliegen muss?" frage ich, nachdem Volker Grasberger das Triebwerk für eine Kerosin-Tankpause abgestellt hat. „Das ist ganz einfach! An den einzelnen, jeweils 13 m breiten Parzellenbahnen (entspricht genau der Auslegerbreite am Helikopter) werden Schilder angebracht, weiße Rechtecke, gelbe oder rote Dreiecke. Die zeigen mir an, welche Bahnen ich abfliegen muss. Eine Bahn kann dabei je nach Gegebenheit des Weinbergs zwischen 50 m und einem Kilometer lang sein." Ich entdecke die winzigen farbigen Ecken erst, als mich Thomas Regnery, der junge Spritzausschuss-Vorsitzende der Winzergenossenschaft, weiter in den Berg führt. Und so ganz nebenbei erhalte ich auch noch eine Lehrstunde über Weinsorten, Reben, Trauben und Weinschädlinge. Hätten Sie gewusst, dass der Heuwurm eine kleine unscheinbare Raupe ist, die sich in die jungen Trauben einspinnt und sie damit schädigt? „Aber der ist bei weitem nicht so gefährlich wie der Pilzbefall", erzählt Regnery. „Zudem kann er sowieso nicht bekämpft werden, da das Ausbringen von Insektiziden schon seit Jahren nicht mehr praktiziert wird. „Insektizide werden, wenn überhaupt, punktuell eingesetzt, und nur dann, wenn eine Ernteeinbuße von mehr als 20 Prozent zu erwarten ist. „Unser größter Feind ist der Pilzbefall, der echte und der falsche Mehltau (Oidium und Peronospora), und dagegen können wir gezielt nur mit den Fungiziden vorgehen." Beim „Sprühturn" muss alles passen
Während unserer Exkursion fliegt Volker Grasberger Bahn für Bahn über dem steilen Hang. Jede Drehung sieht so aus wie die vorherige, jeder Überflug scheint in exakt der gleichen Höhe zu erfolgen, die Düsen öffnen sich am Beginn der Bahn und schließen am Ende wieder. Entscheidend für exaktes Sprühen ist der sogenannte Sprühturn am Ende der Bahn. „Hier muss alles passen, wenn ich die Düsen wieder aktiviere. Ich ziehe die Maschine hoch, drehe um 180 Grad, wenn eben möglich natürlich gegen den Wind, baue dabei gleichzeitig Fahrt ab und muss darauf achten, dass ich den Helikopter um genau 13m versetze, weil meine Ausleger ja diesen Bereich abdecken. Ich darf aber auch nicht zu weit rausfliegen, da das Zeit kostet. Ausserdem muss ich berücksichtigen, dass ich nicht in meinen eigenen Sprühnebel einfliege. Genau am Anfang der neuen Bahn muss wieder alles stimmen: die Flughöhe, mit etwa 50 cm über den Rebstöcken, Richtung und Geschwindigkeit (30 kts/56 km/h)." Manche Hänge haben eine Neigung von bis zu 60 Grad. Da kann es schon mal passieren, dass man nicht genau parallel fliegt, und der langer Ausleger aus Aluminiumrohr Hindernisberührung bekommt. Grasberger hat in seiner langen Pilotenkarriere schon einige solcher Zwischenfälle miterlebt. „Da das Rohr sofort wegbricht, ist das nicht unmittelbar gefährlich, aber es kann die gesamte Aktion ihn Zeitnot geraten lassen. Wir nehmen zur Vorsicht immer Ersatzrohre mit, die wir im Bedarfsfall vor Ort austauschen können." Sprühturns gehören übrigens zur Standardausbildung für die Streu- und Sprühberechtigung. Welch hohen Stellenwert diese Art des Fliegens hat, beweist die komplexe Ausbildung: der bereits erfahrene Hubschrauberpilot muss immerhin noch 30 Flugstunden und 40 Theoriestunden nachweisen, ehe er in den Weinberg darf. Als die Hiller einen Parallelhang zu uns überfliegt, kann man deutlich an den Enden der Ausleger die Verwirbelung des Sprühguts erkennen. Bei jedem Flug nimmt der Hubschrauber zwischen 300 und 400 Liter mit. Das reicht für ein Gebiet von bis zu 2,5 Hektar (25 000 m2). Dabei betragen die Flugkosten pro Hektar etwa 120 Mark, das Fungizid kostet rund 100 Mark pro Hektar. Die Weinlese beginnt im Herbst und dauert, je nach Rebsorte, bis in den November hinein. Dabei hat die helle Traube an der Mosel schon seit Jahrhunderten Tradition. Die Weinklassiker entstehen aus Riesling- oder Müller-Thurgau-Trauben. Seit einigen Jahren dürfen hier nun aber auch rote Trauben angebaut werden, nachdem sich Rotweine weltweit zunehmender Beliebtheit erfreuen. Kenner schätzen die Roten von der Mosel, vor allem Spätburgunder und Schwarzriesling. Sprühflieger meiden Wind und Thermik
Bei den Zwischenlandungen wischt Flughelfer Tim die große Frontscheibe sauber. „Das Zeug ist zwar geruchlos und für den Menschen unschädlich, doch der feine, gelbliche Film setzt sich überall ab und beeinträchtigt die Sicht." Der Pilot nimmt derweil einen Schluck aus der Thermosflasche, dreht das Triebwerk wieder hoch und startet zu seinem nächsten Sieben-Minuten-Turn. In der Ferne nahen schon wieder schwarze Regenwolken. „Die günstigsten meteorologischen Bedingungen zum Sprühen sind bei weniger als 25 °C, bei wenig Wind (unter 5 m/s), möglichst wenig Thermik und am besten bei Trockenheit, frühestens jedoch 20 Minuten nach einem Regenschauer. Bei Nebel wird auch nicht geflogen", erzählt Grasberger. Da ist es verständlich, dass Sprühflieger schon bei Morgengrauen auf den Beinen, pardon auf den Kufen, sind, denn in der Morgenluft herrschen oft optimale Flugbedingungen ebenso wie kurz vor beziehungsweise nach Sonnenuntergang. „Das nervt frühmorgens zwar manchmal die Feriengäste, aber bei den Bewohnern treffen wir auf volles Verständnis, schließlich ist hier fast jeder irgendwie mit dem Weinbau liiert." Die Regenwolke kommt bedrohlich näher. Wenigstens den einen Abschnitt will Grasberger heute noch schaffen. Morgen soll es dann an einem anderen Hang weitergehen. Es ist inzwischen nach 14 Uhr und sowieso Zeit für einen kleinen Imbiss. Auch in der Gaststätte kennt man die Grasbergers. Die Wirtin fragt nach, wie weit man denn inzwischen sei. „Na ja, morgen soll's ja wieder fliegbar werden." Für die Menschen an der Mosel ist der Helikopter ein selbstverständliches Arbeitsgerät geworden, das es ihnen ermöglicht, vorzüglichen Wein zu lesen und in alle Welt zu exportieren. „Wir Winzer", sagt Reinhold Kollmann, „stehen auf Helikopter." Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.
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